Kambodschas Medien unter Druck Hun Sen schränkt Meinungsfreiheit zunehmend ein

Der kambodschanische Regierungschef Hun Sen geht in jüngster Zeit harsch gegen Kritiker vor und schränkt die Meinungsfreiheit zunehmend ein. Er scheint damit auf wachsende Kritik an seinem autoritären Regierungsstil und an einem äusserst umstrittenen Grenzvertrag zwischen Kambodscha und Vietnam zu reagieren.

Zeitungskiosk in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. ©Katja Dombrowski
Zeitungskiosk in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. ©Katja Dombrowski

Die kambodschanische Regierung geht in jüngster Zeit harsch gegen Kritiker vor und schränkt die Meinungsfreiheit zunehmend ein. Im Oktober sind ein Radiojournalist und ein Gewerkschaftsführer verhaftet worden; fünf weitere Personen, gegen die Haftbefehle erlassen wurden, sind ins Ausland geflüchtet. Führende Köpfe lokaler Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften, aber auch Oppositionspolitiker und Mitglieder der Königsfamilie halten sich nach verbalen Angriffen und Drohungen von Ministerpräsident  Hun Sen ebenfalls ausserhalb Kambodschas auf. Der frühere König Norodom Sihanouk kündigte an, in Peking im Exil zu bleiben, wo er sich seit August zu ärztlichen Behandlungen befindet.

Drohung an die Adresse des Königs

Mitte Oktober hatte der Regierungschef in einer von einem staatlich kontrollierten Fernsehsender
übertragenen, fast zweistündigen Rede unter anderem gedroht, die konstitutionelle Monarchie abzuschaffen, sollte König Norodom Sihamoni einen umstrittenen Grenzvertrag mit Vietnam nicht unterzeichnen. Zudem drohte er, jeden, der ihn wegen dieses Vertrags kritisiere, vor Gericht zu bringen. Wer einen Staatsstreich plane, werde sterben, sagte Hun Sen. An Ausländer erging der Appell, sich nicht in innere Angelegenheiten
Kambodschas einzumischen.

Der Regierungschef – der eine Koalition aus seiner Cambodian People's Party und der schwächeren royalistischen Funcinpec anführt – gerät offenbar zunehmend unter Druck. Der Streit um den Grenzverlauf Kambodschas, das in der Vergangenheit grosse Teile seines Territoriums an die Nachbarländer Thailand und Vietnam verloren hat, ist ein Dauerbrenner. Zugespitzt hat sich die Diskussion, nachdem Hun Sen Anfang Oktober in Hanoi eine Zusatzvereinbarung zu einem 1985 geschlossenen Grenzvertrag mit Vietnam unterzeichnet hatte. Dieser war von der nach dem Sturz der Roten Khmer 1979 von den Vietnamesen
installierten Regierung unterzeichnet worden. Laut Kritikern des Vertrags wurde dem östlichen Nachbarn darin unrechtmässig kambodschanisches Land zugesprochen.

Der Inhalt der Ergänzung des Vertrages wird bis jetzt von der Regierung geheim gehalten. Gegner befürchten, dass mit ihrer Unterzeichnung der umstrittene Grenzvertrag von 1985 legitimiert wird. Damit die Vereinbarung in Kraft treten kann, muss sie jedoch von der Nationalversammlung angenommen und vom König als  Staatsoberhaupt ratifiziert werden. König Norodom Sihamoni befindet sich zurzeit in Peking bei seinen
Eltern. Laut Spekulationen will er durch seine Abwesenheit die Unterzeichnung des auch bei der Königsfamilie umstrittenen Dokuments umgehen. In seiner Rede sagte Hun Sen: «Wenn es für den König zurzeit zu schwierig ist, zu unterschreiben, sollten wir überdenken, ob wir die Monarchie beibehalten oder eher zu einer Republik mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt werden sollten.»

Der populäre Radiosender Beehive FM 105, der als einziger unabhängiger Radiosender Kambodschas
gilt, hatte am 20.September ein Interview mit dem Direktor der in Paris ansässigen Organisation Cambodia's Border Committee, Sean Pengse, ausgestrahlt. Darin warf der Exil-Kambodschaner Hun Sen vor, Vietnam kambodschanisches Territorium zu überlassen. Vor kurzem wurde Mom Sonando, der Besitzer und Direktor von Beehive, unter dem Vorwurf der Verleumdung verhaftet. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr. Gegen Sean Pengse, der inzwischen seinen Rücktritt verkündet hat, weil er die Unterzeichnung des strittigen Vertrags nicht hatte verhindern können, liegt ebenfalls eine Verleumdungsklage vor. Er befindet sich vermutlich
jedoch in Frankreich.

Verhaftungen und Zensur

Vor kurzem wurde zudem Rong Chhun, derVorsitzende einer Lehrergewerkschaft, an der Grenze zu Thailand verhaftet, als er Kambodscha verlassen wollte. Zwei weitere Gewerkschaftsführer und der Chef einer Nichtregierungsorganisation, gegen die ebenfalls Haftbefehle erlassen worden waren, konnten flüchten. Die vier Beschuldigten hatten eine Stellungnahme des Cambodia Watchdog Council unterschrieben, die die Grenzvereinbarungen zwischen Vietnam und Kambodscha kritisiert. Auch ihnen werden nun Verleumdung
sowie Anstiftung zu Straftaten vorgeworfen.

Die jüngsten Vorfälle sind der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung zuungunsten der Meinungsfreiheit, die das offiziell demokratische südostasiatische Land in seiner Verfassung garantiert. Seit den anti-thailändischen Ausschreitungen im Januar 2003 – die zur Zerstörung der thailändischen Botschaft sowie zahlreicher thailändischer Geschäfte und Hotels in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh geführt hatten und bei
denen auch ein Thai getötet wurde – sind öffentliche Demonstrationen verboten. Geplant ist zudem
die Einführung einer Buchzensur, nachdem vor kurzem ein Buch des australischen Historikers und Kambodscha-Experten David Chandler auf Khmer veröffentlicht worden ist, das geschichtliche Darstellungen enthält, die nicht mit der Sichtweise der Regierung übereinstimmen.

Besorgte Beobachter

Auch das Instrument der Verleumdungsklage gegen Journalisten ist nicht neu. So wurde zum Beispiel im September ein Reporter der englischsprachigen Tageszeitung «Cambodia Daily» wegen Verleumdung des kambodschanischen Aussenministers zu einer Geldstrafe verurteilt. Laut dem Uno-Sonderbeauftragten für Menschenrechte in Kambodscha, Peter Leuprecht, hat die Regierung 2004 und 2005 mindestens acht Verleumdungsklagen gegen Medienschaffende eingebracht. Leuprecht nannte die jüngsten Verhaftungen
in einer Pressemitteilung «illegal» und drückte grosse Besorgnis darüber aus.

In einer Stellungnahme der International Federation of Journalists heisst es: «Die Regierung benutzt
Verleumdungsklagen als Waffe, um Journalisten mundtot zu machen, und übt damit einen nachteiligen Effekt auf die Wächterfunktion der Medien aus.» Auch nationale und internationale Menschenrechtsgruppen beklagen eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit in Kambodscha. Die Regierung benutze die Gerichte, um Kritiker mundtot zu machen, so die Vorwürfe. Human Rights Watch bezeichnete die jüngsten Vorfälle als schwerste Angriffe gegen Andersdenkende seit 1997.

In der am 20.Oktober veröffentlichten «Rangliste der Pressefreiheit 2005» von Reporter ohne Grenzen, die den Zeitraum von September 2004 bis August 2005 berücksichtigt, rangiert Kambodscha noch auf Platz 90 von 167 untersuchten Ländern und schneidet damit besser ab als seine Nachbarländer Laos, Thailand und Vietnam. Vincent Brossel, der Asien-Koordinator von Reporter ohne Grenzen, erklärte jedoch, die Verhaftung
von Mom Sonando und der wachsende Druck, den die Regierung ausübe, werde Einfluss auf die kommende Einstufung Kambodschas haben. «Wir sind sehr besorgt über den Fall», wird Brossel im «Cambodia Daily» zitiert.

Keine unabhängige Justiz

Der Präsident der lokalen Menschenrechtsorganisation Cambodian Center for Human Rights, Kem Sokha, sieht in der fehlenden Unabhängigkeit der kambodschanischen Justizbehörden das Grundübel. Die Cambodian People's Party habe nicht nur die Mehrheit im Parlament, sondern kontrolliere auch die Gerichte. «Dadurch haben sie uns in der Hand, und wir haben nichts gegen sie in der Hand», sagt der prominente
Menschenrechtsaktivist. Übergriffe auf Journalisten bis hin zu Ermordungen habe es auch früher schon gegeben. Die Regierung habe jedoch stets jede Verantwortung dafür abgestritten. Nun sei das Vorgehen offener, sagt Sokha.

Dass führende Aktivisten und Oppositionelle mit Flucht aus Kambodscha auf den Druck reagiert haben, hält Sokha für extrem schlecht. «Wir wollten ihnen Mut machen und zeigen, dass wir viele sind und zusammenstehen», sagt er und verweist auf eine Konferenz zum Thema Meinungsfreiheit in Kambodscha, die das Cambodian Center for Human Rights am vergangenen Montag veranstaltet hatte. Sokha glaubt nicht, dass die Verhafteten bald freigelassen werden. Auch an eine baldige Rückkehr des Führers der wichtigsten
Oppositionspartei, Sam Rainsy, der sich im Ausland aufhält, seit ihm im Februar im Zusammenhang mit einer Verleumdungsklage die parlamentarische Immunität entzogen worden ist, glaubt er nach den jüngsten Ereignissen nicht. Eine positive Entwicklung hat Kem Sokha jedoch beobachtet. «Die Menschen in Kambodscha wachen auf», sagt er. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Unterdrückungspolitik der Regierung wachse allmählich, und das sei ein gutes Zeichen.