Ersatz-Omas für Expats Die neuen Au-Pairs: Deutsche Senioren betreuen Kinder und kochen Lieblingsessen

Es gibt die thailändische respektive burmesische oder kambodschanische Maid, die nicht recht versteht, warum Fernsehen schlecht sein soll, das Herumtoben in tropischer Hitze dagegen gut. Es gibt Oma und Opa, die für drei Wochen im Jahr zu Besuch kommen, in der Zeit aber nicht nur Enkel betreuen, sondern auch Ayutthaya besichtigen und auf Koh Samui entspannen wollen. Und neuerdings gibt es die „Grand-Mère“. Sie kommt als Ersatzoma zu Expatfamilien, liest vor oder hilft bei den Hausaufgaben, backt Nusskuchen oder kocht Spätzle, ist abends Babysitter und am Wochenende Begleitung in den Zoo.

Kristin Emmerinck.
Kristin Emmerinck. ©

Kristin Emmerinck aus Prien am Chiemsee hat Madame Grand-Mère, den Au-Pair-Vermittlungsservice für die Generation ab 50, erfunden – und damit offenbar den Nerv der Zeit getroffen: Anfang des Jahres gegründet, im Sommer über Medienberichterstattung bekannt geworden, umfasst die Kartei bereits gut hundert ältere Damen und zwanzig Herren, die bereit sind, ihre Koffer zu packen und für einige Monate in ein fremdes Land zu einer fremden Familie zu ziehen. „Das sind aktive Menschen, die Mut haben, einen solchen Schritt noch einmal zu wagen, und die viel mitbringen“, sagt Kristin Emmerinck. „Ich bin stolz auf den Bestand.“

Die 64-Jährige kennt beide Zielgruppen aus eigener Erfahrung. Ihr Mann war bei den Vereinten Nationen tätig, und die Familie hat insgesamt zehn Jahre lang in mehreren europäischen Ländern als Expats gelebt. „Mein Mann war viel auf Reisen, so dass ich mit meinen drei Kindern oft allein im Ausland war – das war nicht ganz ohne“, erinnert sich Kristin Emmerinck. Ab und zu kam eine ältere Bekannte zu Besuch, die sie entlastete. Sie kaufte ein, brachte Kinder in den Kindergarten beziehungsweise zur Schule, las Märchen vor und kochte die geliebten Königsberger Klöpse. „Diese Besuche waren das Highlight“, sagt Kristin Emmerinck, „und der erste wichtige Mosaikstein für Madame Grand-Mère“.

Einen Traum erfüllen

Jahre später: Kristin Emmerinck ist wieder in Deutschland und Single, die Kinder sind aus dem Haus. „Nur noch Zeitung lesen ist nicht meins, ich will noch etwas bewegen“, erklärt die aktive Seniorin. Sie wollte sich einen Traum erfüllen und für ein paar Monate in Paris leben und Französisch lernen. „Das Problem war: Wo soll ich wohnen?“ Über private Kontakte kam sie schließlich als Ersatzoma in eine Familie. Über diese Zeit sagt Kristin Emmerinck: „Ich wurde vom Rand in die Mitte des Lebens geholt; ich habe mich zwanzig Jahre jünger gefühlt.“

Etwas Sinnvolles zu tun, gebraucht zu werden, aus dem Alltag auszusteigen, neue Kontakte zu knüpfen – das reizt viele der Bewerber. „Ich bin seit Mai 2011 Rentnerin und kann mich nicht so recht mit dem Zuhausesein abfinden“, schreibt eine 65-Jährige aus dem Raum Köln. Sie möchte am liebsten für mindestens drei Monate nach Nordindien gehen. Eine 56-jährige Bewerberin aus dem Chiemgau will sich eine Auszeit auf Bali nehmen: „Meine drei Kinder sind erwachsen, meine drei Enkelkinder sind bestens versorgt, und ich stehe vor einem beruflichen Neuanfang.“ Ihre Einstellung Kindern gegenüber repräsentiert laut Kristin Emmerinck die Mehrheit der Möchtegern-Esatzomas und -opas: „Es macht einfach Spaß, Kinder heranwachsen zu sehen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten – es ist ein Wachstumsprozess für alle Beteiligten“, schreibt die Bali-Liebhaberin. Die Mehrheit der Bewerber seien Akademiker, darunter Lehrer, Kinderkrankenschwestern, Pädagogen für behinderte Kinder; einige hätten selbst im Ausland gelebt, viele sprächen mehrere Sprachen. „Die Familien können sich wirklich freuen, wie viel da mitgebracht wird“, fasst Kristin Emmerinck zusammen.

Die erste „Grand-Mère“ ist im Oktober nach Brüssel ausgereist, um eine Alleinerziehende mit zwei Kindern zu unterstützen. Im November standen mehrere Ausreisen nach Frankreich und Spanien auf dem Programm sowie ein Einsatz in Kairo: Eine ehemalige Lehrerin ist dort in eine ägyptische Familie gegangen, deren Tochter eine deutschsprachige Schule besucht. „Die Dame hat großen Ehrgeiz, dem Mädchen zu helfen und will sich eventuell auch in der Schule einbringen“, erzählt Kristin Emmerinck.

Anfragen aus oder für Thailand liegen dem gemeinnützigen Verein Madame Grand-Mére, dem es nicht um Profit, sondern um eine „soziale Aufgabe“ geht, noch nicht vor. „Aber das kommt bestimmt noch“, sagt Kristin Emmerinck. Schließlich komme die Sache jetzt erst richtig ins Rollen, vor allem im Ausland sei sie noch wenig bekannt. Sollte sich eine Gastfamilie aus Thailand bewerben, werde sie jemanden fragen, der den Einsatzort offen gelassen habe. „Das ist die größte Zahl“, sagt Kristin Emmerinck. Sie selbst sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, Menschen zusammenzubringen, die zusammenpassen.