Yingluck Shinawatra Die Schwester

Ist die erste Ministerpräsidentin von Thailand nur eine Marionette? Und wenn ja, kann sie trotzdem ein Rolemodel für Frauen sein?

Yingluck Shinawatra in der US-Botschaft in Bangkok ©United States Embassy, Bangkok
Yingluck Shinawatra in der US-Botschaft in Bangkok ©United States Embassy, Bangkok

Das Königreich Thailand hat die erste Regierungschefin seiner Geschichte. Doch die Feministinnen des Landes sind überhaupt nicht begeistert. In Sachen Frauenrechte erwarten sie von Yingluck Shinawatra rein gar nichts. „Sie müsste Gleichberechtigung auf ihrer Agenda haben, damit sich etwas ändert“, klagt Sutada Mekrungruengkul, Koordinatorin des Frauen-NGO-Netzwerkes Women Networks Reshaping Thailand (WREST). Die führende Frauenrechtlerin befürchtet: „Wenn sie die großen Probleme und Konflikte in diesem Land nicht lösen kann, werden die Leute sagen: Da seht ihr es, eine Frau kann es nicht“, erklärt Sutada. Und dann stünden Thailands Frauen noch schlechter da als vorher.

Mit der Sorge, dass Yingluck es nicht schaffen könnte, ist Sutada nicht alleine. Die 44-jährige Ministerpräsidentin, seit August an der Macht, würde das Titelblatt jedes Modemagazins zieren, sie begegnet allem und jedem mit einem charmanten Lächeln, sie kann sowohl vor der Kamera reden als auch mit dem „Volk“ - doch nationale Herausforderungen wie die Hochwasser-Katastrophe, der blutige Dauerkonflikt im Süden des Landes, der von einer Separatistenbewegung der muslimisch-malayischen Minderheit terrorisiert wird, sowie die tiefe politische Spaltung Thailands sind kaum mit Charme und Schönheit zu bewältigen. Dass Yingluck selbst im Wahlkampf verkündete, sie könne „als Frau“ sicherlich besonders gut zur dringend nötigen nationalen Versöhnung beitragen, hob auch nicht gerade ihr Image unter Feministinnen.

Yinglucks größtes Manko ist ihre politische Unerfahrenheit. Bis zu ihrer Ernennung zur Spitzenkandidatin der Phuea-Thai-Partei nur wenige Wochen vor der Wahl hatte sie Karriere im familieneigenen Unternehmensimperium gemacht und noch nie ein politisches Amt bekleidet. Sie wurde die Nummer eins, weil ihr Bruder Thaksin Shinawatra es so wollte.

Der noch immer mächtige Ex-Premier, der von 2001 bis zum Militärputsch 2006 regierte, lebt im Exil in Dubai, weil ihn in der Heimat eine zweijährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs erwartet. Von seinem komfortablen Exil aus leitet Thaksin „seine“ Partei und Gerüchten zufolge auch die Regierungsgeschäfte. Der Wahlkampf lief unter dem Slogan „Thaksin denkt, Phuea Thai lenkt“.

Auf die Frage, warum er seine kleine Schwester vorschicke, antwortete der Milliardär kurz vor der Wahl im Juli in einem NDR-Interview, er könne nicht auf Außenstehende zurückgreifen. Denn: „Diese Menschen werden bedroht, und dann haben sie Angst.“ Zum Beispiel vor der Macht des Militärs. Es kämen nur langjährige Parteimitglieder und seine Familie in Frage. „Deshalb haben wir eigentlich kaum Auswahl.“

In einem anderen Interview bezeichnete er Yingluck als seinen Klon. Die Botschaft war klar: Die Anhänger Thaksins, der als Premier mit populistischen Maßnahmen vor allem die Landbevölkerung für sich einnehmen konnte, sollten, wenn sie ihn schon nicht selbst wählen konnten, dann wenigstens eine Kopie von ihm wählen.

Der große mächtige Bruder also als Strippenzieher, die kleine Schwester – die jüngste der neun Shinawatra-Geschwister – als Marionette? Dieses von den Medien gern verwendete Bild ist zu eindimensional. Yingluck ist keineswegs ein dummes Püppchen ohne eigenen Kopf. Zwar verdankt sie ihren Erfolg sowohl als Geschäftsfrau als auch als Politikerin der „Familiendynastie“: Yingluck stammt aus einer einflussreichen und wohlhabenden Familie aus der Provinz Chiang Mai in Nordthailand. Ihr chinesisch-stämmiger Vater war Parlamentsabgeordneter und erfolgreicher Unternehmer. Dennoch punktet sie bei ihren Landsleuten auch mit eigenen Qualitäten.

Die Regierungschefin ist ebenso selbst- wie modebewusst. Sie ist superreich, aber auch gebildet. Nach einem Bachelor-Studium in Chiang Mai hat sie in den USA ihren Master in Öffentlicher Verwaltung gemacht. Sie ist beruflich erfolgreich und gleichzeitig Familienmensch. Ihren neunjährigen Sohn konnte man im Fernsehen unter anderem bei der Freiwilligen-Arbeit für Hochwasseropfer sehen. Kurz gesagt: Yingluck repräsentiert die moderne Thailänderin aus der gebildeten urbanen Mittel- bis Oberschicht, bzw. das Ideal, nachdem diese strebt. Diese Klientel gehört mehrheitlich nicht zur Stammwählerschaft der Phuea-Thai-Partei, sympathisiert jetzt aber dennoch mit der mächtigsten Frau dieser Partei und Staatschefin.

Allem Bedauern der Feministinnen um mangelnden expliziten Einsatz für ihre Geschlechtsgenossinen zum Trotz, wird so ein Rollenmodell auch nicht ohne Einfluss auf Thailands junge Generation bleiben. Die Regierungschefin „vermittelt ein Bild, das andere Frauen ermutigen kann“, findet denn auch Dhammananda Bhikkhuni, eine Pionierin der thailändischen Frauenrechtsbewegung. Und was den Genderaspekt betrifft: Nach Ansicht der 67-jährigen buddhistischen Nonne sollte Yingluck durchaus auch auf „weibliche Qualitäten“ setzen. „Das ist es, was das Land braucht“, ist Dhammananda überzeugt. „Sanft aber bestimmt“ will sie die Ministerpräsidentin regieren sehen.

Der erste große Test von Yinglucks Amtszeit ist das Hochwasser, das Thailand wochenlang lahm legte, hunderte Menschen das Leben kostete und wirtschaftliche Schäden in unabsehbarer Höhe verursachte. Yingluck flog unermüdlich im Hubschrauber von einem überschwemmten Dorf zum anderen. Man sah sie erstmals in Hosen und Gummistiefeln, und ihr Dauerlächeln wich einem besorgten Augenbrauenrunzeln, wenn sie ihren Landsleuten eine Hiobsbotschaft nach der anderen überbrachte.

Es gab reichlich Kritik daran, wie die Regierung auf die Katastrophe reagierte. Doch sicherlich hätte es ebenso viel Kritik gegeben, wenn die Koalition nicht von Yinglucks Phuea Thai, sondern von der Demokratischen Partei angeführt würde, die bis zu den Wahlen im Sommer an der Macht war und jetzt aus der Opposition heraus kräftig austeilt.

„Wir Frauen unterstützen sie“, sagt die Feministin Sutada versöhnlich. „Es gibt auch eine Frauensolidarität.“ Aber ob Yingluck das erste Staatsoberhaupt in Thailands Geschichte ihrer gewaltigen Aufgabe gewachsen ist, wird sich erst Anfang 2012 herausstellen.