Eine kambodschanische Lösung

In den letzten Monaten drohte der ohnehin nicht gerade erfolgreiche Fußball des südostasiatischen Königreiches Kambodscha komplett im Chaos zu versinken. Die Nationalelf wurde von einem halbseidenen Politiker abgesetzt, dem Verband drohte der Ausschluss aus der FIFA. Jetzt ist angeblich wieder alles im Lot. Angeblich.

Fußnballfans im Stadion in Phnom Penh ©Nicholas Hollmann
Fußnballfans im Stadion in Phnom Penh ©Nicholas Hollmann

Im kambodschanischen Fußball liegt die Wahrheit nicht auf, sondern neben dem Platz. Und diese Wahrheit ist sehr, sehr bitter: Die Nationalmannschaft wurde davongejagt, die nationale Meisterschaft mitten in der Saison abgebrochen, die Cambodian Football Federation (CFF) vom Asiatischen Fußballverband rausgeschmissen, und das größte Unheil, nämlich der Ausschluss aus der Fifa, nur haarscharf abgewendet. Immerhin: Nach einem tumultreichen Jahr wird nun auch wieder Fußball gespielt. Womit allerdings noch längst nicht alles in Ordnung ist.

Doch der Reihe nach: Im November 2005 war die kambodschanische Nationalelf - eine Woche vor ihrer Abreise zu den Südostasien-Spielen auf den Philippinen - in einem bis heute schwer nachvollziehbaren Handstreich entlassen worden. Prinz Norodom Ranariddh, ein Halbbruder des kambodschanischen Königs Norodom Sihamoni und seinerzeit noch einer der mächtigsten Politiker des Landes, hatte offenbar im Alleingang entschieden, dass sein eigenes Team, der kambodschanische Meister Khemara, das bessere Nationalteam abgeben würde. Das muss man sich so vorstellen, als würde ein Karl-Heinz Rummenigge von heute auf morgen beschließen, die deutsche Auswahl durch den FC Bayern München zu ersetzen. In Kambodscha ist so etwas möglich.

Zwar war Ranariddh als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für die Teilnahme des Landes an den Südostasien-Spielen verantwortlich. Seine drastische Einmischung in die Angelegenheiten des Fußballverbandes rechtfertigte dies jedoch kaum. Allzu laut fiel die öffentliche Empörung des erst vier Monate zuvor engagierten australischen Nationaltrainers Scott O’Donell, der geschassten Spieler und CFF-Präsidenten Khek Ravy dennoch nicht aus – dem Prinzen, der mittlerweile weitgehend entmachtet und diskreditiert ist, wagte damals niemand ans Bein zu pinkeln.

Die „Khemara-Nationalelf“ hat 2005 auf den Philippinen alle Spiele verloren. Doch auch sonst sind Kambodschas Fußballer nicht gerade von Erfolg verwöhnt. Während das kleine südostasiatische Königreich in den Sechzigern regional durchaus eine Rolle spielte, fand in den Zeiten des Bürgerkriegs von Anfang der 70er bis in die 90er Jahre hinein praktisch kein Fußball statt. Unter der Schreckensherrschaft von Pol Pots Roten Khmer, die rund 1,7 Millionen Menschen auf dem Gewissen haben, kämpften die Kambodschaner ums nackte Überleben, nicht um Tore. Mehr als 20 Jahre lang wurde kein einziges Länderspiel ausgetragen.

Derzeit rangiert Kambodscha auf Platz 174 von 198 der FIFA-Weltrangliste, zwischen Tahiti und Brunei. In der Qualifikationsgruppe für die WM 2002 landete die Mannschaft auf dem letzten Gruppenplatz, an der Qualifikation für 2006 hat sie gar nicht erst teilgenommen – aus Geldmangel, wie es aus dem Verband lapidar heißt. Nachdem Kambodscha vier Jahre lang keinen Sieg in einem offiziellen Länderspiel feiern konnte, wurde das 3:0 gegen Guam beim AFC Challenge Cup im vergangenen April schon als großer Erfolg gefeiert. Dabei ist Guam eine kleine Pazifikinsel mit 170000 Einwohnern und Vorletzter der Weltrangliste.

Der von Prinz Ranariddh kaltgestellte Scott O’Donell verfolgte den Sieg in seiner neuen Rolle als Technischer Direktor. Auf die Frage, was er ansonsten während des acht Monate währenden Tohuwabohus rund um die „Khemara-Nationalelf“ gemacht habe, antwortet er lakonsich: „Ich habe Trainingseinheiten beobachtet, Meisterschaftsspiele angeschaut und Berichte geschrieben.“ Die Cambodian Premier League (CPL), erste und zugleich einzige Liga des Landes, in der zehn Mannschaften um den Titel des kambodschanischen Meisters spielen wurde jedoch im Mai bis auf weiteres ausgesetzt - wegen finanzieller Schwierigkeiten.

Währenddessen fuhr der Verband weiter Karussell und warf seinen Präsidenten Khek Ravy nach sieben Jahren aus dem Amt. In undurchsichtiger Weise setzte die CFF statt dessen Sao Sokha an ihre Spitze, einen hohen General und Chef der Militärpolizei, der als Vertrauter von Ministerpräsident Hun Sen gilt. In diesem Moment trat die FIFA auf den Plan: Sie witterte politische Einmischung und erkannte die Wahl nicht an. In einem Brief an Khek Ravy, dem für die FIFA nach wie vor rechtmäßigen Präsidenten, gab FIFA-Chef Joseph Blatter der CFF eine Woche Zeit, die Wahl rückgängig zu machen; andernfalls drohe der Ausschluss. Anfang Juni 2006 setzte der Verband offiziell eine Frist von 90 Tagen, um seine Forderungen zu erfüllen: Khek Ravy wieder einzusetzen und die Verbands- den FIFA-Statuten anzupassen.

Ein Rausschmiss hätte für den kambodschanischen Fußball aufgrnd des dann ausbleibenden Geldsegens vermutlich das Aus bedeutet. Die 250.000 US-Dollar, die der Weltverband seinen Mitgliedern pro Jahr zahlt, stellen in Kambodscha den Löwenanteil des Gesamtbudgets. Zusätzliche Gelder für die CFF, die ganze 28 Mitgliedsvereine hat, kommen von einigen wenigen Sponsoren. Das Gehalt des Nationaltrainers etwa wird von einem Flughafen-Betreiber beglichen. Über die astronomischen Summen, die im europäischen Fußball gezahlt werden, kann man in Kambodscha nur staunen. Ein Nationalspieler kommt in der Regel auf nicht mehr als 150 US-Dollar monatlich.

Während die FIFA noch drohte, machte der Asiatische Fußballverband Nägel mit Köpfen: Er suspendierte Kambodscha im Juli, weil die CFF ihren jährlichen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 100 US-Dollar nicht bezahlt hatte. Diese Summe konnte jedoch offenbar in den leeren Kassen noch zusammengekratzt werden - der Ausschluss wurde im August wieder aufgehoben.

Auch für das Problem mit der internationalen Föderation hat man eine Lösung gefunden – eine sehr kambodschanische Lösung: Auf dem Papier wurde Khek Ravy flugs wieder zum Präsidenten gemacht. In Wirklichkeit behielt jedoch Sao Sokha das Zepter in der Hand. Einige Monate lang hieß es auf Anfragen diplomatisch: „Die beiden arbeiten zusammen. Eigentlich haben wir zwei Präsidenten.“ Bis eine ordentliche demokratische Wahl im Dezember es offiziell machte: Der elf-köpfige CFF-Vorstand wählte Sao Sokha für die nächsten vier Jahre einstimmig zum Präsidenten, Khek Ravy wurde Vize. Diesmal ist auch die FIFA zufrieden, und da sie auch ihre zweite Forderung erfüllt sah und die Staturen überarbeitet wurden, ist eine Suspendierung vorerst vom Tisch.

Prinz Ranariddhs Verein Khemara hat indessen sein Gastspiel als Nationalmannschaft beendet, seit August ist Scott O’Donell wieder am Ruder. Er hat aus den besten Vereinen der Cambodian Premier League ein neues, junges Team zusammengestellt. „Sao Sokha hat mir bei der Auswahl der Spieler freie Hand gelassen“, sagt der Trainer zufrieden. Im September und Oktober konnte auch die Meisterschaft endlich zu Ende gespielt werden, Meister wurde erneut Khemara. Die ersten Länderspiele der neu zusammengestellten Nationalelf standen Ende November an: In der Qualifikation für die ASEAN Football Federation Championship, den ehemaligen Tiger Cup-, mussten die schwächsten fünf Teams der Region um zwei freie Plätze kämpfen. Kambodscha verlor gegen die Philippinen, spielte unentschieden gegen Laos und Brunei und – ein kleiner Trost - siegte immerhin über Ost-Timor. Damit wurde man Dritter und musste leider zuhause bleiben.

Die Mannschaft hat nun ein Jahr Zeit, um fit für das nächste Großereignis zu sein: die Südostasienspiele im Dezember 2007 in Thailand. Alle Teams aus dem Einzugsgebiet sind automatisch qualifiziert, die Teilnahme kann allenfalls wieder an internen Problemen scheitern. Eines ist schon jetzt bekannt: Um Geld zu sparen, wird das Team im Bus nach Thailand reisen.